Doreen Mende
Das Bild wird gewesen sein

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Das Bild hat aufgehört, etwas sichtbar zu machen. Es zieht sich zurück vom Versprechen, als sichtbarer Beweis für ein Ereignis zu funktionieren. Das Bild ist dafür nicht zu gebrauchen und will nicht so gebraucht werden. Katrin Mayer nimmt es auf, als ob es ein Bild ist, das gewesen sein wird. Dieses Bild kann man betrachten, jedoch wird seine bildhafte Erzählung dann bereits wieder hinfällig sein. Nehmen wir ein Bild aus dem visuellen Essay „When one cannot read the original language, one rapidly loses oneself in translations (veils, fringes or clothing...)“ von Katrin Mayer für eine akademische Publikationsreihe. Es ist ein überaus verführerisches Bild. Damit ist nicht das gemeint, was darauf zu sehen ist. Sondern das Bild selbst ruft danach, exponiert zu werden. Exponieren ist hierbei etwas anderes als sichtbar machen: Wir sehen eine Person, deren Körper bis auf einen Augenschlitz und den erhobenen Oberarm mit weißem Textil bedeckt ist. Erst der freiliegende Arm lässt erkennen, dass sich unter dem opulenten Textil eine Person verbirgt. Der Ort der schwarz-weißen Aufnahme, die bereits älter zu sein scheint, mutet wie ein häuslicher Raum an. Der Boden ist mit Fliesen ausgelegt und im Hintergrund deutet sich eine Tür an. Es könnte in der arabischen Region aufgenommen worden sein, muss es jedoch nicht. Es könnte ebenso in einem Studio produziert worden sein oder in einer Klinik, wie die Quellenangabe spekulieren lässt. Wir wissen es nicht. Der verhüllte fotografierte Körper wendet sich vom Blick der Kamera ab. Aus dem opulenten weißen Gewand spannt die Person mit ihren Armen eine Fläche, die wie ein Screen erscheint. Wir können beinahe physisch erfahren, wie das Bild uns dadurch blendet. Die weiße Fläche wendet das Bild in einen Screen, der etwas zurück wirft, was das Bild nicht liefert. Es hört auf, etwas sichtbar zu machen. Die nach oben gerichteten, das Textil haltenden Arme muten wie eine Demonstrationshandlung an, mit der das Paradigma der Sichtbarkeit geblendet und verdeckt wird. Diese Geste widerspricht dem Begehren nach struktureller Transparenz noch will es wie ein Schulmeister die Welt erklären und über ungerechte Verhältnisse (Politik, Ökonomie) aufklären. Man könnte bei Katrin Mayer ein Interesse an gesellschaftlichen Verhältnissen vermuten, wenn man sich ihre Arbeiten insbesondere in Bezug auf Genderkonstruktionen und Bildproduktion anschaut. Jedoch widersetzen sich ihre stark forschungsbasierten Projekte solchen Labels. Mayer hält nicht viel von Klassifizierungen; warum werden wir noch sehen. Das Bild wird gewesen sein – die zeitliche Verstrickung, die sich hier andeutet, breitet sich vielmehr als eine Möglichkeitsform aus. Neben der Publikation ist es vor allem der achitektonische Raum, dessen Parameter Mayer bevorzugt dafür nutzt.

Tatsächlich ist das einzelne Bild ein unzureichender Ausgangspunkt, um sich Mayers Arbeit zu nähern. Seit ihrer Diplompräsentation „Shaking the Lines in the Mirror of Time“ (2006) an der HfBK arbeitet sie mit selbst zusammen gestellten Bild-Familien, die sie ordnet, verwirft, bündelt und neu aufstellt. Die Materialien können unterschiedlichen Quellen entnommen sein. Zwischen dem selbst-produzierten Videostill, dem Archivfoto, dem Screenshot und dem Magazinbild gibt es keine Hierarchien. Auch Textauszüge und Fragmente aus Büchern, Studien und Aufsätzen gliedern sich gleichberechtigt ein. Anstatt jedoch eines Positions- und Statuskampfes formulieren ihre Projekte eine „Disposition der Differenzen“ wie es Georges Didi-Huberman in Bezug auf die Technik der Montage bei Brecht (Fn1) formuliert. Das Einzelbild steht dabei nicht nur im losen Zusammenhang mit anderen Materialien, sondern „man montiert nur, um die Klüfte zu zeigen (montrer), die zwischen jedem Su(b)je(k)t und allen anderen klaffen.“ Daraus entsteht ein Gewebe aus unterschiedlichen Erzähl- und Zeitfäden. Zum Teil liegt das Bild offen, es verdeckt die Sicht oder steht im Konflikt mit einem anderen.

Wir befinden uns inmitten dieses Gewebes: Die Bewegung des Körpers im Raum nimmt bei ihrer jüngsten Arbeit „If I put my glasses in the vitrine, they will never break, but will they still be considered glasses?* Or: Screening an Archive.“ eine wesentliche Position auf. Aus ca. 19.500 Archivbildern eines ostdeutschen Werbe-Fotografen hat Mayer eine handvoll ausgesucht und vergrößert. Es sind vor allem Frauen während ihrer Arbeit in der sozialistischen Produktion in volkseigenen Betrieben zu sehen und ein Bild zeigt als Frauen verkleidete Männer auf einem Fasching. Wieder stehen Frauen im Zentrum, jedoch auch hier weder als Thema noch Kategorie. Vielmehr scheint es, dass Mayer mit Frauen am besten vertraut ist und deshalb mit ihnen bzw. ihrer Bildhaftigkeit gern arbeitet. Glassscheiben unterschiedlicher Machart ermöglichen diese Bilder im Raum zu disponieren, das heißt, sie voneinander entfernt zu platzieren und einen Abstand zu deklarieren, in dem sich der Körper bewegen kann. Der architektonische (oder grafische) Raum wird hier wie in vielen anderen Arbeiten zu einer essentiellen Faser in diesem Gefüge. Ähnlich wie der einzelnen Fotografie wird im vorgefundenen Raum nach Beziehungsverhältnissen, Verschleierungstaktiken und Verfremdungspotentialen gesucht. Die Glasscheiben tragen, spiegeln oder verdecken die Bilder. In diesem zerklüfteten Gewebe aus Erzähl- und Zeitsträngen lagert die Möglichkeit, den Räumen und Zeiten zwischen den Bildern eine Form zu geben. Von dort aus öffnet sich ein Bild, das gewesen sein wird in zukünftige Blicke und Bilder der Betrachterin oder des Betrachters, ohne dass die Präsentation Sichtbarkeit behauptet hätte. Die Textur liegt offen, franst aus und wird an den Rändern im physischen wie narrativen Sinne berührbar und verletzlich. „Man zeigt und exponiert, um zu disponieren – nicht die Dinge selbst (...) sondern ihre Differenzen, ihre wechselseitigen Chocks, ihre Konfrontationen und Konflikte.“ Es geht darum, die „Dinge in Dys-position zu bringen“ (Fn2), aus der etablierten Ordnung zu werfen.

Das Misstrauen gegenüber dem Einzelbild mag bei Katrin Mayer aus einem Wissen hervorgehen, welches sie sich während ihres Studiums erworben hat. Mayer hat Kunstgeschichte und Germanistik studiert, bevor sie sich dem künstlerischen Arbeiten zuwandte. Sie ist in kunstwissenschaftlichen Techniken der Bildbetrachtung trainiert. Ein Bild dient dort als Mittel der Beweisführung wie ein Objekt der Begierde, mit welchem im akademischen Arbeiten klassifiziert und argumentiert wird. Mayer arbeitet mit diesen erlernten Techniken in ihren künstlerischen Projekten, jedoch zweckentfremdet sie ihr Wissen. Sie geht in Bildarchive, um die Bilder aus ihrem ‚Hausarrest’ (Derrida) auszulösen. Die topologischen Wirkungsweisen des Archivs, in welchen Derrida eine patriarchale Ordnung ansiedelt, suspendiert sie, indem ihr Umgang weder der unparteiischen Archivarin noch der gewissenhaften Kunstwissenschaftlerin entspricht. Sie vergleicht Bilder miteinander, um heterogene Beziehungen durchzuspielen: eine Modefotografie des belgischen Designers Martin Margiela auf der ein Model ihren Kopf und einen Teil ihres Gesichtes mit ihrer Jacke elegant bedeckt, steht im Konflikt mit einer Gruppe von Polizisten in Rabat. Wir müssen damit ohne Erklärung auskommen. Manchmal geben sogar Quellen der Bilder Aufschluss über Produktions- und Rezeptionsbedingungen wie es im oben genannten visuellen Essay der Fall ist: dort ist ziemlich genau angegeben, wo welches Bild herkommt. Jedoch erscheint die Bildlegende wie ein laufender Text. (Das verstrickte Verhältnis zwischen Text und Bild ist ein weiterer wesentlicher Aspekt der Arbeitsweise von Mayer und würde einen weiteren Aufsatz benötigen.)

Das Bild hat bei Mayer seinen gesetzlichen Ursprung verloren. Zum Glück. Es hat dadurch ein Recht darauf, gewesen sein zu werden. Es existiert bereits und wird auch noch existieren, jedoch in veränderter Formation und Konstellation, in anderen Bezügen und Gruppierungen. Es wird sich verstecken und seine Sichtbarkeit verschleiern, um sich dem Blick der Öffentlichkeit zu entziehen, ohne auf die öffentliche Präsenz zu verzichten. Seine Beziehungsverhältnisse berühren angrenzende Räume und Körper. In diesem Gefüge verliert alles, was exponiert ist, seine/ihre sichere Ordnung der Sichtbarkeit.

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*quoted after Christian Boltanski

Fn1 und Fn2: Georges Didi-Huberman: „Wenn die Bilder Position beziehen“, München 2011, S.101.

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erschienen im Katalog zur Ausstellung:
Lieber Aby Warburg. Was tun mit Bildern?
Museum für Gegenwartskunst, Siegen
2. Dezember 2012 bis 3. März 2013

Layout: Maren von Stockhausen

http://www.artbooksheidelberg.com/html/detail/de/lieber-aby-warburg-was-tun-bildern-978-3-86828-367-9.html
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