Martin Beck

Oberflächen, Grenzen, Zwischenfiguren – Überlegungen zum Vampirischen bei Katrin Mayer und Eske Schlüters
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anlässlich der Ausstellung ZwischenFiguren, Zürich / Hamburg
erschienen in Kultur und Gespenster, 1/2008
http://www.textem.de/1105.0.html

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Die Oberfläche unseres Körpers steht in emphatischem Bezug zu dem, was uns als Person in Eigen- und Fremdwahrnehmung hervorbringt. Die große Angst vor Verletzung oder Deformation unserer Haut ist dabei zugleich die Angst vor dem unsichtbaren Inneren des Körpers. Als bildliche Kontur ist sie ebenso Gegenstand der Obsession eigener imaginärer Vollständigkeit wie der Verklärung durch das Begehren des Anderen. Dies ist die Angriffsfläche des Vampirs.
Eine gegenwärtige Präsenz von Vampiren, Zombies und ähnlichen Figuren, die von kulturwissenschaftlichen Publikationen über Fernsehserien (inklusive darüber abgehaltener Konferenzen) bis hin zu Vampirclubs im Internet reicht, verdankt sich sicherlich unterschiedlichen Interesselagen. Zum einen mag sie als romantisches Spiel mit dem Unheimlichen auftreten, das im Rahmen von Depression, Unlustbefindlichkeit und Weltflucht stattfindet. Zum anderen bieten sich solche Erscheinungsweisen des Untoten aber auch als ernstzunehmende Verhandlungsfiguren für die Bestimmung eines gegenwärtigen Verhältnisses von Subjekt, Begehren und Gesellschaft an. Hier ist beispielsweise die Ausstellung Zwischen zwei Toden im ZKM Karlsruhe zu nennen, die das Konzept eines untoten Zustands bei Lacan herangezogen hat, um die Frage nach der Verhandlung spätmoderner Subjektivierungsweisen in der gegenwärtigen Kunstproduktion zu verfolgen. In der Ausstellung ZwischenFiguren, stellen Katrin Mayer und Eske Schlüters – ausgehend von der Gestalt des Vampirs - die Frage nach gesellschaftlichen und körperlichen Grenzziehungen.
Wenn der Vampir Peina (Christopher Walken) in Abel Ferarras The Addiction (1994) zu der neuinfiziert vampirisch lebenden Philosophiestudentin Kathy (Lilli Taylor) sagt: »You ought not to forget that you’re not a person, you’re nothing«, sollte daran erinnert werden, daß es ein Nichtsein jenseits der fiktionalen Existenzweise einer Filmfigur gibt. Die paradoxe Möglichkeit dieser artikulierten Erfahrung des Nichtseins weist darauf hin, daß die Grenze zwischen Sein- und Nicht- bzw. Nichtssein auch eine gesellschaftlich bedingte und konstruierte ist: Der Vampir hat keine Lohnsteuerkarte, keine stereotype Kleinfamilie und keinen festen Wohnsitz, keine Biographie innerhalb gesellschaftlicher Reproduktionsprozesse und somit keinen Platz in der symbolischen Ordnung sozialer Verhältnisse. Stattdessen führt er eine merkwürdige Zwischenexistenz zwischen zwei Welten: jener der Menschen, deren Gestalt er annimmt, und einem Bereich unklarer nächtlicher Aktivität. Bleibt ihm so jede Sublimierung seines Begehrens ins Symbolische verwehrt, ist der Vampir ständig mit dem Realen seines Triebes konfrontiert und kann insofern weder zum Protagonisten einer Politik noch zum Leitbild eines irgendwie gearteten Sozialen werden. Er nähert sich dem Kollektiv stets von außen, maskiert und parasitär und stellt in dieser Negativität eine ständige Bedrohung für unsere eigenen imaginären und sozialen Körperoberflächen dar. Womit sich aber zugleich die Frage ergibt, wann und wo man selbst vielleicht in einen solchen Zustand geraten könnte.
Der Vampir ist aber nicht nur eine marginalisierte, sondern auch eine eminent parodistische Figur. (Der Vampir ist queer.) Ähnlich wie bestimmte Topoi des Vampirischen, das Trinken von Blut etwa, Themen des Christentums ironisieren, verhält es sich auch mit Szenen subjektiver Selbstvergewisserung. Gilt bei Lacan die narzißtische Identifikation des Kindes mit dem eigenen Spiegelbild als erster Schritt zur Ausbildung eigenen Personseins, ist hier nicht nur relevant, daß der Vampir kein Spiegelbild hat, sondern auch, daß ein sich im Spiegel betrachtendes Opfer den von hinten herankommenden Vampir nicht sehen kann. Die Existenz des Vampirs führt so die beirrende Möglichkeit ein, daß gerade in der Identifikation mit dem gesehenen Objekt etwas Entscheidendes unsichtbar bleibt.
Unter dem Titel ZwischenFiguren – remember after all: there are such things! zeigten die Künstlerinnen Katrin Mayer und Eske Schlüters im Hamburger rraum, der regelmäßig mit Ausstellungen bespielten Wohnung von Meike Behm und Peter Lütje, Arbeiten, die nach gemeinsamer Recherche zum Thema VampirInnen entstanden sind. Diese waren zuvor ähnlich im White Space, Zürich im Rahmen der Reihe ‚Kunst des Forschens‘ zu sehen, der es um die Produktivität von Diskursmischungen und Hybridisierungen innerhalb eines erweiterten Felds kultureller Wissensproduktion geht. In diesem Kontext bewähren sich die Arbeiten, indem sie sich dem Thema nicht theoretisch oder dokumentarisch nähern, sondern vielmehr das Vampirische in Form spezifischer medialer und medialisierender Strategien analysieren, und es als solches in konzeptuelle Arbeitsweisen einspeisen. Dabei entsteht ein beziehungsreicher Raum, in dem sich die spezifische Beschaffenheit von VampirInnen als ‚ZwischenFiguren‘ in einer Reihe von Logiken des Transitorischen, Hybriden und Parodistischen auffächert, und dabei Betrachterstellung und Blickgewohnheiten einer Prüfung unterzieht.
Eine von Katrin Mayer mit DIN A4 großen Spiegelfolien ausgekleidete Wand erzeugt in einem der beiden Räume eine gebrochene Schuppenstruktur, in der einzelne dieser Flächen, unregelmäßig verteilt, mit Filmstills aus Vampirfilmen bedruckt sind. Die Anordnung der Bilder wirkt dabei wie eine Suche nach Pathosformeln des Vampirischen: Viele Frauengesichter, blutverschmierte Münder, Kussszenen, close-ups von aufdringlicher und sexualisierter Körperlichkeit. Groß- und Detailaufnahmen etwa von Augenpaaren oder Mündern erinnern dabei an Blickkonstellationen, die den weiblichen Körper fetischisierend aufbrechen, zum anderen starren Augen bedrohlich zurück. Die gesamte, durch Filmstills rhythmisierte und durch das DIN – Format der Flächen paillettierte, somit mehrfach fragmentierte Spiegelwand erzeugt zudem ein sehr verzerrtes Abbild des Betrachters/der Betrachterin und erscheint so als Anspielung auf Alpträume von Zerstückelung, in denen ein ursprünglich chaotischer Zustand des eigenen Körpers wiederkehrt. Durch die Enge des Raumes steht man immer mit im Bild und sieht sich selbst eingelagert in die Oberflächen neben denjenigen, die über kein Spiegelbild verfügen, deren medialisierte Abbilder aber aufdringlich neben den unseren erscheinen.
Dahinter durchspannt schwarze Stretchfolie den Raum auf voller Höhe als Raumteiler und Konterfläche. In dem semitransparenten, faltenwerfenden Material, das je nach äußeren Lichtverhältnissen durchscheint oder reflektiert, verdichten sich Anspielungen auf das Aufspannen von Fledermausflügeln, Häute und Kleider ebenso wie auf Gothic- und Fetischszene. Das Material, das im Messebau zum verpacken dient, verpackt hier nichts, sondern wird als fragile Grenze und Haut präsent. Als Raumteiler erzeugt sie ein nicht zu betretendes Dahinter und trägt eine irritierende Spannung in den Raum ein. Die optisch sensiblen Materialien lösen dabei dessen tektonische Ordnung in ambivalente Oberflächen- und Tiefenverhältnisse auf. Gerade auch im Zusammenspiel mit den engen Verhältnissen der Räume bewirken die Materialien Spiegel- und Stretchfolie eine konzentrierte installative Situation, die Erfahrungen von Verstricktheit und Befangensein transportiert.
Die etwa fünf Minuten lange Doppelprojektion Like a shadow – no reflection von Eske Schlüters auf der unverkleideten Wohnzimmerwand im anderen Raum, steht im Kontrast zu den dominanten und dunklen Diagonalen der Gesamtinstallation. Am Beginn führen kurze Sequenzen aus eingeblendetem Text vor schwarzem Bild eine problematische Figur ein: ‚It‘s me, because I‘m Nosferatu ... in a Nosferatu picture ... so my answer is: Nosferatu is me‘, was wirkt, als sei es von einer unsichtbaren Person mit unhörbarer Stimme aus dem Off gesprochen und hier englisch untertitelt worden. Im Rahmen dieser Sprechersituation wird jedes geäußerte Wort problematisch: Wer ist ‚me‘, wer ist ‚Nosferatu‘ und was bedeutet es, in einem ‚picture‘ zu sein, wenn man gleichzeitig nicht zu sehen ist?
In der Folge bildet die Doppelprojektion, die Footage aus Vampirfilmen verwendet, ein Spielfeld, auf dem Logiken von Assoziation und Dissoziation, Kontinuität und Diskontinuität durchgespielt werden. Die zwei Projektionen zeigen - dabei manchmal im selben Bild oder mit nur kurzer zeitlicher Versetzung konvergierend, oder in verschiedene Richtungen auseinanderlaufend - montageartig kurze Filmszenen, hinzu kommen kurze Sprach- und Tonsequenzen. Erst später bemerkt man, wie dieser Bildstrom von einer Reihe reflexiver Zusammenhänge durchzogen ist, diese allerdings nicht in Aussagen und Narrationen auflöst, sondern auslaufen läßt, um einer neuen Linie zu folgen.
Auf der Motivebene sind es vor allem Frauengestalten, an denen unterschiedliche Besetzungen von Betrachterposition, Blickobjekt und Filmbild durchgespielt werden. Die Gegenüberstellung verschiedener Einstellungen der selben Szene oder fast identischer Einstellungen aus unterschiedlichen Filmen erscheint dabei zunächst als ein Verfahren, das die Dynamik von Kameraeinstellungen in der Codierung von Szenen und Körpern freilegt. Neben anderem arbeitet Schlüters dabei mit räumlichen Dispositiven. Innenaufnahmen in halbnahen Einstellungen, in denen sich Frauen in glänzenden Kleidern fetischartig drehen, kontrastieren mit Außenaufnahmen, in denen sie auf freiem Feld scheinbar orientierungslos umher oder in die Arme des Vampirs laufen. Dazwischen sieht man immer wieder den Blick der Frau aus dem Fenster, während Männer anderswo damit befaßt sind, Fenster mit Holzbrettern zu verrammeln. Das erinnert an einen dem Kino unterstellten Voyeurismus ebenso, wie an väterliche Warnungen von Vampirjägern, unbedingt die Fenster geschlossen zu halten. Das Verschließen solcher Öffnungen und Zwischenräume dient auch dazu, eine soziale Ordnung aufrecht zu erhalten, die Rolle des Vampirs in der erotischen Befreiung der viktorianischen Frau, wie sie in den Gothic Novels des 19. Jahrhunderts als Ausbruchsmöglichkeit aufscheint, deutet sich hier an.
Wiederkehrende Einstellungen mit subjektiver Kameraführung zeigen, wie das Objekt der Begierde der Macht des Blicks unterworfen wird, und kontrastieren mit starrend herannahenden Augen, in denen dieses Verhältnis in horrorfilmtypischer Weise umgedreht wird. Auffallend ist allerdings, daß gerade hier durch das wiederkehrende Abbrechen der Narration eine eindeutige Zuordnung der Personen zu bestimmten Rollen zumeist scheitert oder zumindest ambivalent bleibt. Erscheint eine der ikonischsten Kameraeinstellungen des Vampirgenres – ein männlich konnotierter Vampir beugt sich über eine wehrlos daliegende Frau – beinahe als Überexemplifizierung einer Theorie vom männlichen Blick, hat das Genre gerade durch seine geschlechterindifferente Infektionslogik immer wieder weibliche Protagonistinnen eines aktiven Begehrens hervorgebracht. Diese Dynamik greifen beide Arbeiten in ihrer Bildsprache auf und indem sie eine eindeutige Zuordnung von Vampirin, Opfer und Vampirjägerin verhindern, erzeugen sie reziprok eine verunsicherte Betrachtersituation, in der stereotype Blickgewohnheiten unterlaufen werden. So entstehen Bildfolgen, in denen das Transitorische einer wechselseitigen Infektion der Bilder immer wieder Zwischenräume entstehen lässt.
Wenn die Videoarbeit testbildartige oder nicht bebilderte Filmstreifen verwendet, flicht sie die mediale Beschaffenheit des Apparats mit ein, indem sie das Filmbild als durchscheinende Haut, Oberfläche ebenso wie als Träger eines Repräsentationssystems in Szene setzt und reflexiv einbindet. Dies beispielsweise in dem assoziativen Sprung von einer Szene, wo Lichtstrahlen durch Einschüsse in einer Wand dringen, zu eingeblendeten Punkten auf leerem Filmbild. Hier tritt die Arbeit mit dem installativen Setting Mayers in Beziehung, dessen durchscheinende und spiegelnd-glänzende Folienflächen in ähnlicher Weise mit Präsenz und Durchlässigkeit spielen und analog den medialen Apparat, auf den sie sich beziehen, reflektieren.
Die Grundoperation des Vampirischen, die sich durch die Arbeiten von Schlüters und Mayer zieht, besteht darin, Körperoberflächen ebenso wie die Kontur imaginärer Bilder zu problematisieren und diese als durchlässige und fragile Grenzen zu inszenieren. Ergebnis ist eine Art mediales Regime problematischer und ambivalenter Grenzziehungen, das die Dialektik eines vampirischen Zustands zwischen zwei Toden immer wieder neu ausagiert. Die beiden Arbeiten, die neben der thematisch-programmatischen Nähe über Spiegelungseffekte und Bildmaterial kommunizieren, eröffnen dabei einen trickreichen Subjekt-Raum, dem verhalten eine Art konzeptueller Horror gelingt. Dabei ist noch einmal daran zu erinnern, daß es sich bei unseren Umgangsweisen mit Körperbildern des Anderen wie unserer selbst nicht um arbiträre Gewohnheiten handelt, diese vielmehr in einem konstitutiven Verhältnis zu unserem Selbst- und sozialen Rollenverständnis stehen. Solche Blickweisen zu hintergehen und fraglich zu machen, kann im Rahmen einer Kunstausstellung vielleicht für einen Moment die Grenzen zwischen Sein und Nichtssein verschieben und somit einen Zwischenraum eröffnen, in dem eine solche Unsicherheit als theatrale Situation erfahrbar wird. It‘s me, because I‘m Nosferatu ... in a Nosferatu picture.
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© Martin Beck