Max Jorge Hinderer und Martin Beck

Katrin Mayer im GOLD Hamburg. Ein Krimi.
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Rezension der Ausstellung SQUARE, Gold Projektraum, Hamburg
erschienen in Kultur & Gespenster, Nr. 2, 2006
http://www.textem.de/?id=1108
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Von Februar 2005 bis Juni 2006 tauchte an einem bestimmten Ladenlokal in der Hamburger Innenstadt in unregelmäßigen Abständen ein Schild auf. Darauf stand zu lesen, GOLD. Jörg Franzbecker und Kerstin Niemann organisierten hier abwechselnd Ausstellungen. Franzbecker betrieb den GOLD-Raum, Niemann betreibt dort noch immer das FILTER . Der Goldraum ist vielleicht nicht ganz das Bernsteinzimmer Hamburgs gewesen, es gibt aber mindestens eine Gemeinsamkeit: beide sind verschwunden, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Am Hahntrapp Nr. 4-6 wird das besagte Schild nicht mehr zu sehen sein.
In Hamburg gibt es eine lebendige Tradition an „selbst organisierten“ und/oder „temporären“ Ausstellungsräumen. Den oft kleinen Ausstellungsflächen entspricht dabei die begrenzte Dauer ihrer Existenz. Diese ist ihrer prekären materiellen Situation ebenso geschuldet wie den nomadischen Verhaltensweisen ihrer Betreiber. Insofern ist es nicht ungewöhnlich, wenn solche Räume von Zeit zu Zeit verschwinden. Genauso wie die Fördergelder, die den allgemeinen Sparmaßnahmen immer als erstes zum Opfer fallen. Im Falle des Goldraums könnten wir es allerdings mit einem Kuriosum zu tun haben. Dieser verschwand, nachdem ihn die Hamburger Künstlerin Katrin Mayer zwischen dem 26.05. und 10.06. zuletzt mit der Ausstellung „Square“ bespielte. Es ist nicht auszuschließen, dass zwischen diesen beiden Ereignissen ein kausaler Zusammenhang besteht.
Katrin Mayers künstlerisches Vorgehen basiert auf einem einfach erscheinenden Prinzip: Sie greift signifikante Muster oder Formen auf, wiederholt sie, reproduziert sie, de- und rekontextualisiert sie. Pathetischerer ausgedrückt könnte man sagen, dass Mayer das Wesenhafte einer Sprache des Visuellen aufspürt und damit den Betrachter dazu nötigt, sich in Form eines politischen Subjekts herausgefordert zu fühlen. Kennzeichnend sind Mayers architektonische Interventionen, die plastische Einschreibung von kulturell besetzten Motiven in den Raum der Ausstellung, die Aneignung spezifischer baulicher Elemente. Sie entwirft Architekturen, die sich den Betrachter durch eine unaufhaltsame Wiederholung, Doppelung und Wucherung einverleiben. Im Kunsthaus Baselland („Cooling Out – Zur Paradoxie des Feminismus“, 13.08.-01.10.2006) stellt Mayer durch Streifenmuster auf der Wand Beziehungen zwischen verschiedenen marginalisierten sozialen Bewegungen her und relativiert, durch die mediale Bewegung im Prozess der Übersetzung, das Paradigma einer linearen Geschichtsschreibung. Im Goldraum machte Mayer aus dem White Cube Origami.

Charakteristisch für den Ausstellungsraum in der Hamburger Innenstadt ist, dass Boden und Decke von einem quadratischen Raster überzogen sind. Die Decke ist mit viereckigen Platten abgehängt, der Boden von einem diagonal verlaufenden schwarz-weiß-karierten Fliesenmuster bedeckt. Das quadratische Raster taucht in der Kunstgeschichte bekanntermaßen als Grundlage und Hilfsmittel für konstruierte Perspektiven auf. In der Malerei der Renaissance passiert es, dass quadratische Fliesenmuster die Grundfläche für Szenerien bilden, deren geometrische Struktur sich, über den Bildrand hinaus gedacht, prinzipiell endlos fortsetzt. Das wurde oft genug als Programm eines bürokratischen Willens zur Mathematisierung und Vereinheitlichung der Welt kritisiert. Einer solchen Ausbreitung sind bei GOLD bereits durch die beengten Raumverhältnisse Grenzen gesetzt. Katrin Mayer verfolgt dann auch eine andere Strategie um dieser Enge zum Ausufern zu verhelfen. In ihrer Arbeit nimmt sie auf das Bodenmuster Bezug, indem sie eine Vielzahl von Variationen davon auf weißen und neon-grünen Blättern wiedererscheinen lässt, die als Akzentuierung bestimmter Raumelemente, rasterartig und rhythmisch nebeneinander gesetzt, die Säulen und Ecken des Raumes bekleiden. Es ergibt sich eine Topologie, in der das, was ursprünglich nur Ausdruck eines banalen Willens zur Dekoration war, in weitere Dimensionen des Raumes entfaltet wird. Dabei ist das Verhältnis der eingefalteten Fläche zu ihrer Entfaltung im Raum nicht das einer bloßen Spiegelung oder einfachen Fortsetzung. Im Entfalten wird stattdessen ein verborgener Weltgehalt des schlichten Karomusters sichtbar, der in dessen Möglichkeit besteht, in einer prinzipiell unbegrenzten Vielheit von Kontexten zu erscheinen: als Wappen, auf Kleidung, als Bühne, auf Blättern, als Form, als Hinter- und Vordergrund. Dabei wird nicht nur auf Inhalte bezuggenommen, sondern auch eine formale Eigenart des Raumes an die Oberfläche geholt. Das Raster der Bodenfliesen überflutet die Wände und lässt sie durchlässig werden, um dann, zu Säulen und Stützpfeilern verdichtet, im Raum wieder aufzutauchen. Es inszeniert sich als diejenige Matrix, die die Logik der Architektur trägt, kriecht wie ein wachsender Ausschlag vom Boden bis zur Decke und spiegelt sich in den Scheiben. Es überlagern sich verschiedene Raumidentitäten, die die Geschichte des Bodenmusters in divergierende Richtungen weitererzählen. Die Folge davon sind eine Reihe von Auflösungserscheinungen. Indem das Muster in diese Vielheit hinein gebrochen wird, geht mehr und mehr die Möglichkeit verloren, es einer reduzierenden Wahrnehmungstendenz zu unterwerfen. Sobald diese Fähigkeit zur vereinheitlichenden Zusammenfassung verloren geht, zerfällt aber auch das wahrnehmende Subjekt zu einer potentiell unbegrenzten Mannigfaltigkeit perspektivischer Einzelsubjekte, was nichts anderes bedeutet als dass der Betrachter in den Falten des Fußbodens zu verschwinden droht.
Mit dieser Entfaltung wird ein Mechanismus in Gang gebracht, dem man zunächst ohne sein Wissen unterliegt. Bei Katrin Mayer fängt sich der Betrachter etwas ein: because we are your friend, you’ll never be alone again (hat sie selber so gesagt). Nach Verlassen des Raums wird der Besucher unerwartet und plötzlich von Erlebnissen heimgesucht, die das Karomuster an immer neuen Orten und Gegenständen auftauchen lassen. Die begonnene Reihe entwickelt sich so eigenständig in jedem Betrachter weiter. Unvorhersehbar wölben sich kleine Falten aus dem Ebenen empor und rücken gespensterhaft in unsere Wahrnehmung. Im Plattenregal, im Zoo, beim Hautarzt, bei Oma auf dem Sofa. Wir haben es mit einem Virus zu tun. Mit nichts anderem als einem Programm, das einer evolutionären Logik der Selbstfortsetzung und Vervielfältigung folgt. Einem Bestreben, immer neue Wirtstiere zu befallen und dabei seine eigene molekulare Struktur an immer neuen Orten und aus immer neuem Material zu reproduzieren. Das Karomuster hat sich als retinales Nachbild im Wahrnehmungsapparat eingenistet. Für den Träger erscheint es als eine Heimsuchung, die aber ein Gespenst ebenso sein kann, wie eine syphilitische Halluzination. Dem Goldraum ist die Möglichkeit geboten worden, sich als Schwebeteilchen freizusetzen, molekular zu werden. Im Zuge seiner Entfaltung hat das Muster zuerst die Flächen befallen, hat auf der Tapete Blasen geworfen, immer feinere Bläschen, bis die Wände zu Schaum zerfielen. Was übrig bleibt, ist ein genetisches Programm, das jeder einzelne Besucher in sich trägt, und hier verschwiegen darauf wartet, an neuer Stelle verwirklicht zu werden. Wenn der Goldraum in der Auffaltung seines Ortes verlorengegangen ist, bleibt zu hoffen, dass dies nur sein Eintreten in ein Stadium der Latenz bedeutet, von wo aus er sich an anderer Stelle in mutierter Gestalt wieder neu zusammenfinden wird. Alles andere hätte auch für uns beunruhigende Konsequenzen.

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© Max Jorge Hinderer und Martin Beck